Geschichte der Inayatiyya

Sufi-Sommerschule in Suresnes bei Paris, Juli 1926. Nekbakht Foundation

 

Die Geburt des Sufiordens der Inayatiyya geht auf ein Ereignis im Jahr 1907 im indischen Hyderabad zurück. Damals erhielt der 25jährige Inayat Khan von seinem Sufilehrer Sayyid Abu Hashim Madani einen Segen: „Geh in die Welt, mein Kind, harmonisiere Ost und West mit der Harmonie deiner Musik. Verbreite die Weisheit des Sufismus, denn du bist begabt durch Allah, den Barmherzigen und Mitfühlenden.”¹

Es sollte aber noch drei Jahre dauern, bis Inayat Khan am 13. September 1910 gemeinsam mit seinem Bruder Maheboob Khan und seinem Cousin Muhammad Ali Khan von Bombay aus per Schiff zunächst nach Neapel und von dort weiter in die USA fuhr. In San Francisco/Kalifornien traf Inayat Khan auf seine erste Schülerin Ada Martin. Als die Saat in den USA gelegt war, reiste Inayat Khan im Frühjahr 1912 nach London, um dort ein Sufizentrum aufzubauen.

Der beginnende Erste Weltkrieg in Europa behinderte zunächst eine weitere Verbreitung. Doch nach Kriegsende begann die Sufiorganisation zu blühen. Neben mehreren Stützpunkten in England und zwei Zentren in Kalifornien kamen ab 1920 weitere Zentren in Frankreich, der Schweiz, Holland und Belgien dazu. Hazrat Inayat Khan errichtete eine neue Zentrale in Genf und gab seiner Organisation im Herbst 1923 auch eine neue Struktur. Den Kern des Ganzen bildete nun die esoterische Schule, der eigentliche Sufiorden. Dieser wiederum war Teil eines größeren Ganzen, des Sufi Movement, das auch Aktivitäten wie die Bruder & Schwesternschaft und den Universellen Gottesdienst enthielt. Das spirituelle Zentrum war jedoch in Suresnes bei Paris, wo Hazrat Inayat Khan mit seiner Familie und seinen engsten Mitarbeiter:innen in Fazal Manzil lebte, und wo er auch alljährlich seine Sommerschule abhielt.

In den Folgejahren dehnte sich das Sufi Movement bis in den Norden Europas und nach Deutschland aus. Weitere Aktivitäten wie der Heilorden und Zira’at (spirituelle Landwirtschaft) kamen dazu. Durch den unerwartet frühen Tod von Hazrat Inayat Khan am 5. Februar 1927 ging jedoch eine Erschütterung durch die Organisation. Der Sufimeister hatte keinen eindeutigen Nachfolger bestimmt. Sein älterer Sohn Vilayat war noch zu jung, um in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Aufgrund der Streitigkeiten um die Nachfolge kam es in den Folgejahren zu einer Reihe von Spaltungen:

  • In den USA separierte sich Murshida Rabia Martin mit ihrer Anhängerschaft und gründete schließlich die Bewegung Sufism Reoriented.
  • Rabias Vertrauter Murshid Samuel Lewis, ebenfalls ein direkter Schüler von Inayat Khan, begründete den Orden der Ruhaniat.
  • Und Inayat Khans Sohn Pir Vilayat Inayat Khan gründete, nachdem er seine spirituelle Ausbildung vollendet hatte, schließlich die Sufiorder International. Unter seinem Sohn Zia Inayat Khan wurde die Sufiorder International in Inayatiyya umbenannt.
  • Auch im Sufi Movement, in dem zunächst die Brüder Inayat Khans und dessen Cousin das Sagen hatten, spaltete sich unter der Führung von Inayat Khans Enkelsohn Fazal 1982 ein neuer Orden namens Sufi Way ab.

Rückblickend betrachtet erwies sich diese Vielfalt jedoch als Bereicherung. Jede dieser Organisationen der Inayati-Familie entwickelte ihre ganz eigene Note und ihre eigenen Qualitäten. Und in jüngerer Zeit kam es wieder zur Zusammenführung des Getrennten. 1997 formten Ruhaniat und Sufi Movement eine Allianz namens Federation of the Sufi Message. Und im Jänner 2020 wurde Pir Zia, der Pir der Inayatiyya, von seinem Onkel Shaikh ul-Mashaikh Mahmood Khan mit der Nachfolge im Sufi Movement betraut, sodass Inayatiyya und Sufi Movement nun wieder unter einer Führung vereint sind.

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¹ Khan, Zia Inayat (2006). A Hybrid Sufi Order at the Crossroads of Modernity: The Sufi Order and Sufi Movement of Pir-o-Murshid Inayat Khan. UMI Dissertation Services, Duke University, Seite 65.