Noor inayat Khan

Noor Inayat Khan, Nekbakht Foudation

Noor-un-Nisa – ihr Name bedeutet „Licht der Frauen” – ist die erste und bislang einzige Frau, die offiziell in die Übertragungslinie der Inayatiyya aufgenommen wurde. Pir Zia entschied sich zu diesem bahnbrechenden Schritt am 5. Februar 2018, anlässlich der Urs Zeremonie (Feier zum Jahrestag des Todes) von Hazrat Inayat Khan.

Dies entsprang nicht nur dem generellen Wunsch von Pir Zia, Frauen innerhalb des Ordens sichtbarer zu machen, sondern in erster Linie dem Respekt gegenüber dem außergewöhnlichen Lebenslauf Noors, die als Vorbild und Verkörperung der Praxis von niswan gilt, der weiblichen Form der spirituellen Ritterschaft, die sich im 9. Jahrhundert in der Gegend um Baghdad und Khorasan/Nordostiran als Gegenstück zur männlichen futuwwa herausgebildet hatte und bis heute einen wesentlichen Bestandteil der Sufibewegung bildet.¹

Noor lebte vor, wie weibliches spirituelles Rittertum, niswan, auch in der Gegenwart gelebt werden kann. Für ihren mutigen Einsatz als hochspezialisierte Funkerin im II. Weltkrieg, die 1943 unter dem Decknamen Madeleine in Paris die Verbindung zwischen der französischen Résistance und London aufrechterhielt, wurde ihr 1946 posthum das Croix de Guerre verliehen, die höchste zivile Auszeichnung Frankreichs. Drei Jahre später, 1949, erhielt sie von der britischen Krone auch das George Cross, die höchste zivile Auszeichnung Englands.

Doch alles der Reihe nach. Noor, die innerhalb der Familie den Kosenamen Babuli („Papas Liebling”) trug, wurde am 1. Jänner 2014 als erstes von vier Kindern von Hazrat Inayat Khan und seiner Frau Amina Begum, geb. Ora Ray Baker, in Moskau geboren. Hazrat Inayat Khan, seine Frau und seine Brüder waren damals einer Einladung von Serge Tolstoi, dem ältesten Sohn von Leo Tolstoi, gefolgt, der sich sehr für indische Musik interessierte.

Doch der beginnende I. Weltkrieg ließ die Familie nach London flüchten, wo sie die nächsten sechs Jahre verbrachte. In diesen Jahren kamen Noors Geschwister zur Welt: 1916 ihr Bruder Vilayat, ein Jahr später Hidayat und 1919 schließlich die Jüngste, Khair-un-Nisa oder Claire, wie sie sich später nannte. 1922 übersiedelte die Familie nach Suresnes bei Paris.

Noors Kindheit war kurz. Die Kinder liebten es, im Garten von Fazal Manzil zu spielen. Sie lernten, Musik im Quartett zu spielen, und Fotos zeigen sie, wie sie stolz in indischen Kleidern vor der Kamera posieren. Doch als Noor 13 war, starb ihr Vater überraschend auf einer Indienreise. Ihre Mutter wurde damals so tief vom Tod ihres Mannes getroffen, dass sie in Schwermut verfiel und sich außerstande sah, für ihre Kinder zu sorgen. Also übernahm die junge Noor, selbst noch ein Kind, tapfer die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister.

Nach dem Schulabschluss studierte Noor klassische Musik an der École Normale de Musique de Paris (Harfe und Klavier) und Kinderpsychologie an der Sorbonne. 1939 erschien in London ihr erstes Buch, die „Twenty Jataka Tales”², in denen Noor einige berühmte Legenden  zu früheren Inkarnationen des Buddha poetisch nacherzählt. Noor schrieb Gedichte und Kindergeschichten, aber auch spirituell geprägte Texte wie „Aède of the Ocean and Land”³.

Doch zu diesem Zeitpunkt warf bereits der II. Weltkrieg seine Schatten voraus. Als die Deutschen im Juni 1940 mit ihrer Armee in Richtung Paris marschierten, trafen Noor und ihr Bruder Vilayat eine folgenschwere Entscheidung. Sie kamen zu dem Schluss, dass es Momente im Leben gibt, in denen der stille Protest nicht reicht, und dass sie im Widerstand gegen Hitler-Deutschland aktiv werden wollten. Der beste Weg, dies zu tun, erschien ihnen, nach England zu gehen und sich dort im Kampf gegen die Nazis ausbilden zu lassen. Vilayat ging in London zur Royal Air Force und später zur Royal Navy. Noor trat in Churchills Eliteeinheit Special Operations Executive (SOE) ein und unterstützte die Résistance in Frankreich. Über den Geheimdienst SOE kehrte sie im Juni 1943 als Funkerin unter dem Decknamen Madeleine nach Paris zurück.

Noors Freundin und Biografin Jean Overton Fuller schreibt, dass Noor bei ihrem Training als Geheimagentin beinahe gescheitert wäre. Anlässlich eines zu Übungszwecken gespielten Gestapo-Interviews sprach sich ihr Trainer damals gegen Noors Einsatz aus. Sie sei zu emotional und impulsiv, zu verletzlich und zu sehr darauf erpicht, sich Gefahren auszusetzen. Den Ausschlag gab schließlich jedoch Noors Beurteilung durch ihre weibliche Trainerin Miss Atkins, die später im Gespräch mit Fuller über Noor sagte: „Sie zeigte eine Reinheit in ihrer Motivation, die kaum von dieser Welt war. Sie hatte solch hohe Ideale. Ihr Geist war so weit entfernt von weltlichen Dingen und irdischen Überlegungen, dass es mir schier unglaublich schien, wie sie diesen Job erfüllen konnte.”⁴

Trotzdem glaubte Atkins an sie, und sie sollte sich nicht irren. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni wurde Noor von einer Lysander in Frankreich abgesetzt. Tag für Tag war „Madeleine” nun mit ihrem Funkgerät in Paris unterwegs, wechselte ständig ihre Positionen und färbte sich die Haare immer wieder neu, um nicht erwischt zu werden. Shrabani Basu, die ebenfalls eine Biografie über Noor schrieb: „Noors Nachrichten halfen London, Orte für den Abwurf von Waffen zu identifizieren, die französische Résistance mit Geld und Waffen zu versorgen und sichere Heimflüge für verwundete Flieger zu organisieren. Die Nazis wussten von ihrer Existenz und konnten sogar ihre Sendungen hören, aber sie konnten sie nicht fassen … Während die meisten Funker nicht länger als sechs Wochen überlebten, hat Noor drei Monate lang im Verborgenen gearbeitet.”⁵

Die Situation wurde immer gefährlicher, und London wollte Noor schließlich zurückholen. Doch sie bestand darauf, in Frankreich zu bleiben – als letzte Verbindung zwischen Frankreich und den Alliierten. Mitte Oktober wurde sie jedoch von der Schwester eines Mitkämpfers für 100.000 Francs an die Nazis verraten. Am 13. Oktober 1943 wurde sie von der Gestapo gefasst, zwei Fluchtversuche scheiterten. Obwohl sie ständig verhört und gefoltert wurde, weigerte sie sich, auch nur die geringste Information preiszugeben. Schließlich wurde sie als „hochgefährliche” Gefangene nach Pforzheim in Deutschland und später ins Konzentrationslager Dachau überstellt, wo sie am 13. September 1944 von den Nazis ermordet wurde. Ihr letztes Wort war: „Liberté”, Freiheit.

Fuller erzählt, dass sie zu dieser Zeit einen Traum hatte: „Babuli kam auf mich zu, in ihrer FANY Uniform, jedoch umgeben von einem blauen Licht, ihr Gesicht strahlte. ‚Ich bin frei‘, sagte sie. Als Vilayat an der Reihe war, um einzurücken, erzählte ich ihm von diesem Traum. Er sagte, er habe dasselbe geträumt. Ich dachte, dass das bedeutete, dass sie in einem Lager gefangen war, das nun geöffnet worden war, und dass sie bald nach Hause kommen würde. Er interpretierte es genau umgekehrt: ‚Es bedeutet, dass sie tot ist.’”⁶

Heute ist Noor eine der am höchsten dekorierten Widerstandskämpferinnen aus dem II. Weltkrieg. Neben den bereits genannten Auszeichnungen wurden ihr auch zwei Gedenktafeln errichtet: eine im KZ-Dachau, eine zweite an der Mauer von Fazal Manzil, wo sie zwischen 1922 und 1940 lebte. Und in Suresnes bei Paris wurde eine Straße nach ihr als „Cours Madeleine” benannt.

In der Inayatiyya gilt sie als shahida, Märtyrerin. Und sie ist Schirmherrin der „Spirituellen Ritterschaft”, einer der sieben Aktivitäten der Inayatiyya.

Weitere Infos zu Noor Inayat Khan:

Memorial Noor Inayat Khan

Noor Society

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¹ Cornell, Rkia (1999). Early Sufi Women. Dhikr an-Niswa al-Muta’abbidat as-Sufiyyat by Abu ‚Abd ar-Rahman as-Sulami, Fons Vitae, Louisville/USA, S. 65 ff. Download.

² Kahn, Noor Inayat (1985). Twenty Jataka Tales. Inner Traditions International, Rochester/USA.

³ Khan, Noor Inayat (2018). Aède of the Ocean and Land. A Play in Seven Acts. Omega Publications, Richmond/USA.

⁴ Fuller, Jean Overton (1988). Madeleine. Reprint by East-West-Publications, The Hague, Holland, S. 131.

inayatiyya.org

⁶ Fuller 1988, S. 253.